Tagesschau – Und er regiert wohl doch von Bayern aus

Und er regiert wohl doch von Bayern aus

Stand: 14.12.2020 18:00 Uhr

In Bangkok protestieren Aktivisten gegen die Macht der Militärführung und des Königs. Dieser wohnt meist in Bayern. Recherchen von WDR und SZ legen nahe, dass er von dort auch regiert hat.

Von Lena Kampf, WDR

Im November zeigte sich der thailändische König wieder in Bangkok. Für die Thailänder ein seltener Anblick, denn über Monate hatte sich Maha Vajiralongkorn oder Rama X., wie er seit seiner Krönung im Jahr 2019 genannt wird, kaum in Thailand aufgehalten. Er verbrachte den größten Teil dieses Jahres in Bayern, im Hotel “Sonnenbichl” in Garmisch-Partenkirchen.

Zunächst sorgten Rama X. und sein ausschweifender Lebensstil vor allem in Bayern für Aufregung. Doch seit in Thailand im Februar 2020 Anhänger der Demokratiebewegung auf die Straße gingen, setzt sein Aufenthalt die guten diplomatischen Beziehungen zwischen dem Königreich Thailand und der Bundesrepublik Deutschland zunehmend unter Stress. Die Pro-Demokratie-Demonstranten in Thailand richten ihre Forderungen an Deutschland als Gastland des Königs: Sie schwenken deutsche Fahnen und schreiben Appelle wie “Keine Staatsgeschäfte von Deutschland aus betreiben!” auf ihre Plakate. So steht es auch in einem Brief, den sie Ende Oktober dem deutschen Botschafter in Bangkok überreichten.

 

Aufenthalt offenbar nicht nur als Privatmann

Bisher heißt es aus der königlichen Botschaft Thailands in Berlin jedoch: Der König ist als Privatmann hier, das gab die Botschaft laut Auswärtigem Amt immer wieder zu Protokoll. Gegenüber WDR und “Süddeutscher Zeitung” (SZ) wollte sich die Botschaft nicht äußern. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas glaubte in einer Fragestunde im Bundestag Anfang Oktober nicht, “dass Gäste in unserem Land ihre Staatsgeschäfte von hier aus betreiben.” Er fügte hinzu, “Politik, die das Land Thailand betrifft, hat nicht von deutschem Boden aus zu erfolgen”. Allem anderen würde man “entgegenwirken”.

Recherchen von WDR und SZ legen jedoch genau diesen Verdacht nahe, dass der thailändische König sehr wohl seinen Amtsgeschäften auch von Bayern aus nachgegangen ist. Dafür wurden anhand von Flighttrackern die Bewegungen der Flugzeuge des Königs nachvollzogen und Veröffentlichungen des thailändischen Gesetzesblatts, des Palastes in Bangkok, von deutschen Ministerien und Behörden sowie Presseartikel ausgewertet. Zwischen dem Tag der Unterschrift des Königs unter die Erlasse und dem Tag der Veröffentlichung im Gesetzesblatt kann es zu Verzögerungen kommen. Ebenfalls kann nicht für jeden Tag genau bestimmt werden, wo der König sich aufgehalten hat. Dennoch ist eine aussagekräftige Rekonstruktion möglich.

Neun Tage in Thailand dokumentiert

Von Januar bis Mitte Oktober 2020 ist demnach auf der offiziellen Internetseite des Palastes nur an neun Tagen dokumentiert, dass der König in Thailand war. Politisch aktiv aber war er in dieser Zeit laut Mitteilungen des Palastes und des thailändischen Gesetzesblattes sehr wohl: Am 18. März etwa teilt das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen dem Hotel “Sonnenbichl” mit, der König dürfe auch in der Corona-Krise dort bleiben. An diesem Tag ernennt er durch eine königliche Verordnung ein paar Generäle. Oder Ende März: Das Landratsamt wird in einem Artikel zitiert, “dass er da ist” – und der König beglückwünscht die griechische Präsidentin zum Amtsantritt.

Mitte Juni erklärt der thailändische Premier, der König habe ihn gebeten, Demonstranten nicht wegen Majestätsbeleidigung zu verhaften. Am selben Tag kreist eines der königlichen Flugzeuge über München. Ob der König im Flugzeug sitzt, ist nicht gesichert. Ende Juli, als er per Verordnung klarstellt, dass die Polizeieinheit, die ihm untersteht, bei Protesten eingesetzt werden kann, jettet davor und danach jenes königliche Flugzeug von München nach Zürich und zurück. In der Schweiz soll laut Medienberichten seine Frau wohnen.

2019 verbot der König seiner Schwester, als Kandidatin der progressiven Partei an den Wahlen teilzunehmen – offenbar von Deutschland aus. Er ernannte womöglich sogar den thailändischen Premierminister von hier. Auf einem Foto der Zeremonie kniet der Premier vor dem Porträt Rama X., vermutlich, weil der echte König in Deutschland war.

Königliche Verordnungen von Bayern aus?

Eine noch umfassendere Auswertung hat die thailändische Dissidentin Junya Jimprasert vorgenommen. Nach ihrer Rekonstruktion hätte sich der König durchschnittlich sogar an jedem zweiten Tag seines Aufenthalts in Deutschland offiziell in seiner Rolle als König betätigt und fast 100 Briefe an andere Staatsoberhäupter geschickt sowie etwa 40 königliche Verordnungen erlassen.

Thailändische Dissidenten und Monarchie-Kritiker in Europa und Asien berichten von seltsamen Anrufen und Angriffen mit Pfefferspray. Einige Demonstranten in Bangkok beklagen, dass sie und ihre Familien eingeschüchtert werden. Belege dafür, ob diese Vorfälle im Zusammenhang mit Rama X. stehen, gibt es nicht. Aber die Betroffenen fragen alle nun auch nach der Verantwortung Deutschlands.

Forderungen an Deutschland

So wie Junya Yimprasert. Sie lebt seit zehn Jahren im Exil, erst in Finnland und seit zwei Monaten in Berlin. Sie will erreichen, dass Deutschland genauer hinschaut, was der König auf deutschem Boden entscheidet. Sie fordert Aufklärung, auch zum Beispiel über das Verschwinden mehrerer Dissidenten. Für Verbindungen zwischen dem König und dem Verschwinden dieser Dissidenten gibt es keine Belege. Aber Thailand ist ein autoritäres Regime, ein Überwachungs- und Repressionsstaat. Der König besitzt laut Experten großen politischen Einfluss. Er hat 2016 die Verfassung ändern lassen, sodass er keinen Stellvertreter mehr benennen muss, wenn er sich im Ausland aufhält.

Seit Mitte Oktober ist der König nun zurück in Thailand, es ist unklar, wann er wieder nach Deutschland kommt. Inzwischen spricht Heiko Maas nicht mehr davon, dass der König keine Staatsgeschäfte führen soll, sondern formuliert auf Anfrage von WDR und “Süddeutscher Zeitung” eine andere Erwartung: Der König dürfe kein deutsches Recht brechen und nicht gegen Menschenrechte verstoßen. Einen Fragenkatalog zu den Tätigkeiten von Rama X. und zu den Vorwürfen der Aktivisten ließ die thailändische Botschaft unbeantwortet.